Verwundert verließ Ricarda den Hof und ging zum Marktplatz, auf dem der Dorfbrunnen stand. Auf dem Weg dorthin begegneten ihr viele Leute, aber niemand schien sie zu sehen, ständig musste sie ihnen ausweichen, um nicht mit ihnen zusammen zu stoßen. „Seltsam, das muss der Umhang sein!?!“, grübelte sie und schaute ungläubig an sich herunter. „Ein Zauberumhang, der mich für Menschen unsichtbar macht!“

Inzwischen war Ricarda auf dem Marktplatz angekommen. Sie setzte sich in eine Ecke an den Brunnen, wo keines der Kinder sie umrennen konnte. Ricarda konnte ihre Freunde sehr gut sehen, selbst durch den Umhang, ihre Freunde bemerkten sie nicht, sie fand es richtig spannend.

Da sagte Miriam: „Wo bleibt denn Ricarda? Die wollte doch schon lange hier sein und Joker mitbringen!” -  „Was interessierst du dich denn plötzlich für Ricarda? Du willst doch nur immer mit ihren Puppen spielen, weil du ja selber nicht so tolle Puppen hast“, entgegnete ihr Tobias patzig. „Ja, das stimmt“, gab Miriam leicht beleidigt zu, „die ist manchmal so merkwürdig und komisch. Klettert auf Bäumen herum, hilft dem alten Jansen beim Melken und Füttern der Kühe oder schleppt diesen alten Hund Joker an.“ Ricarda war verletzt und gleichzeitig enttäuscht, dachte sie doch immer, Miriam sei ihre beste Freundin. „So eine gemeine Ziege", dachte sie empört, „die interessiert sich nur für mein Spielzeug - und jetzt redet sie auch noch schlecht über mich!"
Plötzlich mischte sich Kinga ein, die sonst alles schweigend gar unscheinbar verfolgte. Sie hatte es wirklich nicht leicht, denn ihre Mutter musste alleine für beide sorgen. Bisher hatte sie noch keine Arbeit finden können, verdiente sich ein bisschen Geld dazu, indem sie für andere Leute nähte, das konnte sie richtig gut. Mittlerweile nähte und flickte die Mutter für einige Leute aus dem Dorf, so konnten sie sich über Wasser halten. Kingas Mutter arbeitet hart, oftmals nachts, damit genug Essen auf den Tisch kam. Hin und wieder kaufte sie Kinga sogar einen schönen Stoff für ein neues Kleid. Kinga musste immer das Haus putzen und einkaufen gehen, weshalb die anderen Kinder sie immer ärgerten.

Die brave Kinga stemmte die Hände in die Hüften und fuhr Miriam an: „Du spinnst wohl, du magst Ricarda nicht wirklich, sondern denkst nur an deinen Vorteil. Lass sie doch einfach in Ruhe, wenn du nichts für sie übrig hast. Sie ist so lieb und DU siehst nur dich!”

Die anderen Kinder standen wie angewurzelt um Kinga herum, den Mund weit offen vor Staunen. Ricarda freute sich; so hatte sie Kinga noch nie gesehen. Die schien ja wirklich in Ordnung zu sein! Ricarda wollte zu Kinga hingehen, um sich bei ihr für die ehrlichen Worte zu bedanken, als ihr plötzlich einfiel, dass sie für die Anderen unsichtbar war.

 

Gerade wollte sie sich auf den Rückweg machen, als von einer auf die andere Sekunde dunkle Wolken aufkamen, die wie eine schwarze Wand über dem Dorf aussahen. Die Kinder konnten sich gerade noch rechtzeitig unter die Markise des Dorfkaffees flüchten, als grelle Blitze zuckten, Donner grollte, und ein heftiger Schauer auf den Marktplatz prasselte.