Lustig: Es war ein Haus auf Rädern, das kannte ich noch nicht! Dort hatte ich kein eigenes Zimmer wie früher, ich musste immer sehr aufpassen: Nicht alles an dem ich gerne knabbere, durfte ich essen, es gab dann immer einen Riesenärger. Nach einer Weile hatte ich es verstanden, so habe ich nur noch das gegessen, was man mir vorsetzte.

Eines Tages meinte aber der Mensch, der ‚Papa’ hieß: „Du Vogel, du musst jetzt etwas Vernünftiges lernen.  

Wir sind ein Zirkus, hier muss jeder mit­arbeiten.“ Was sollte das wieder bedeuten? Nach einiger Zeit nahm der kleine Mensch mich mit sich und zeigte mir einen großen Verwandten von Tiger.

„Schau mal, das ist unser Löwe Leo. Mit ihm wirst du demnächst arbeiten. Hab keine Angst.“. Ich zitterte schon am ganzen Körper, als ich das riesige zottelige Tier aus sicherem Abstand sah. „Ich sag ihm, dass er dich nicht fressen soll, du setzt dich auf seinen Kopf - alles, ganz einfach. Findest du nicht?!“, sagte Jan.

Wir übten das Kunststück einige Male, bis Leo ganz still hielt und ich mich vorsichtig auf seinem Kopf niederlassen konnte, ohne dass er mit seinen Pranken nach mir schlug.

Das führten wir jeden Abend vor, die vielen Menschen waren begeistert, es prickelte vor Spannung in der Manege. Alle sahen Leo, Jan und mir ganz gebannt zu.

Alle hatten großen Respekt vor Leo, nur ich, der kleine Sittich, war so mutig und setzte mich auf seinen Kopf mit dem zotteligen Fell.

Jan war immer so nett zu mir, dass ich jeden Tag brav auf Leos Kopf flog, bis die vielen Menschen, die zusahen, vor Begeisterung klatschten. Ich lauschte gerne Jans begeisterten Worten, wenn wir es wieder einmal geschafft hatten.

Schnell hatte ich mich daran gewöhnt, doch eines Tages warf ein kleines Mädchen etwas nach Leo, als gerade unser Kunststück beginnen sollte.

Er schnappte mit seinem großen Maul wütend um sich. Ich flatterte schnell weg, aber er erwischte mich mit seiner Pranke, und ich taumelte zu Boden.

Leo sprang so wild im Kreis herum, dass die Menschen ihn in seine Wohnung bringen mussten.

Benommen sah ich, wie Jan sich mit Tränen in den Augen über mich beugte. Er hob mich vorsichtig hoch und trug mich in sein rollendes Haus.

„Papa, er hat den Flügel gebrochen“ sagte er traurig. Er versuchte, den Flügel mit einem Tuch und ein paar Hölzern so festzubinden, dass ich ihn nicht mehr bewegen konnte. Es tat sehr weh, aber als der Flügel ruhig lag, wurde es etwas besser.

„Bitte iss etwas, du musst wieder gesund werden!“, bat Jan. Er war so lieb zu mir, brachte mir viele leckere Sachen, er hegte und pflegte mich.

 

Es dauerte sehr lange, bis der Flügel wieder geheilt war. Jeden Tag übte er mit mir, er hielt mir seinen Finger als Stange hin, damit ich flattern konnte während ich mich daran festhielt. 

Eines Tages blieb Jan länger weg als sonst. Als er wiederkam, sagte er: „Weißt du, nach der Vorstellung hat ein Mädchen nach dem Vogel gefragt, der mit Leo aufgetreten ist. Sie meint, sie kennt dich!“ Hinter ihm stieg ungeduldig ein Mädchen in das rollende Haus: Was für eine Überraschung, es war Vanessa!

Sie weinte vor Freude und rief „Flori, wo warst du bloß, ich habe dich überall gesucht! Ich habe gestern das Foto in der Zeitung gesehen, das mit dem Löwen. Ich konnte es kaum erwarten zu sehen ob du das wirklich bist!“ Jan schien erfreut und traurig zugleich: „Dann habt ihr ja Glück gehabt, dass wir wieder hierher gekommen sind. Wo wir doch ständig unterwegs sind.“

In meinem Kopf wirbelten die Gedanken durcheinander, ich war total verwirrt. Vanessa war immer so lieb zu mir, ich kenne sie, seit ich aus dem Nest geklettert bin. Jan hat sich aber auch sehr lieb um mich gekümmert. Ich freute mich, dass Vanessa mich wieder gefunden hatte, aber ich war traurig, weil ich dachte, dass ich Jan nun verlassen musste.

Beide verstanden sich auf Anhieb und wurden schnell dicke Freunde. Vanessa durfte bei den nächsten Vorstellungen in der ersten Reihe sitzen, ich durfte auf ihrer Schulter zusehen.

Zum guten Schluss kam ich wieder in mein altes Häuschen, durfte sogar frei im Haus herumfliegen. Schließlich hatte ich versprechen müssen, nie wieder Vanessas Sachen anzuknabbern.

Jan verließ nach einigen Tagen die Stadt. Der Zirkus zog weiter, in eine anderen Ort. Vanessa und Jan schrieben sich lange Briefe, über alles, was sie so erlebten. 

Und immer, wenn der Zirkus mit seinen rollenden Häusern in die Stadt kam, waren Vanessa und ich den ganzen Tag mit Jan unterwegs.