Das Innere der Höhle war gewaltig: Es kam Marco vor wie in einer riesigen Kathedrale. Weit hinten war ein Loch, durch das bläuliches Tageslicht in die Höhle strömte und bunte Muster auf dem Grund des Wassers leuchten ließ.

Marco hatte Angst, als er an all die Meeresungeheuer, die hier leben könnten, dachte.  Aber er war auch zu neugierig, und so paddelte er weiter in die Höhle.

Bald war eine weitere Öffnung zu sehen, Marco fuhr hinein, wobei dieser Höhleneingang so niedrig war, dass er sich ins Boot kauern musste. Aber auch hier sah er einen Lichtschimmer am Ende des Tunnels. Die Höhle, in die Marco jetzt mit seinem Boot hinein glitt, schien noch viel größer als die erste. Und rundherum glaubte er unzählige weitere kleine Höhlen und Nischen zu sehen. Staunend hielt er die Paddel still, bis nur noch das Glucksen der Wellen unter dem Boot zu vernehmen war.

Plötzlich hörte Marco ein Geräusch. Er drehte sich um und erblickte im Halbdunkel Hunderte von Speerspitzen, die kleine, dunkelhäutige Menschen auf ihn richteten. Er zuckte zusammen und warf sich instinktiv flach auf den Boden des Bootes. Wie hilflos kam er sich jetzt vor. Wäre nur sein Papa hier. Er lugte vorsichtig über den Rand des Bootes und sah, wie eines dieser seltsamen Wesen, eine Frau mit langem, zotteligem Haar, etwas zu den anderen sagte, worauf alle die Speere sinken ließen. Einige sprangen ins Wasser und bewegten sich auf Marco zu. Er wunderte sich noch, wie schnell sie bei seinem Boot waren, als sie ihn und das Boot bereits in eine kleine Bucht schoben.

Da sah er erstaunt den Grund für dieses enorme Tempo: Zwischen Fingern und Zehen wuchsen diesen Menschen Häute wie bei einem Frosch! Ihre Augen wirkten glasig. Die Eine, die die Anführerin zu sein schien, bat ihn mit einer glucksenden Stimme, doch zu ihnen zu kommen. Marco folgte ihr zögernd, während ein paar dieser Wassermenschen sein Boot festmachten.

Marco wagte es endlich, seinen Mund aufzumachen: „Wer seid ihr? Und wo bin ich?“, fragte er schüchtern. „Du bist auf der Insel Takhiri“, gluckste die Frau. Ihre Stimme klang, als würde sie unter Wasser sprechen. Lächelnd fuhr sie fort „Ich bin Kacheba. Komm, ich zeige dir unser Dorf. Du hast sicher Hunger!“

Sie geleitete Marco in eine flache, weitläufige Höhle. In vielen Nischen am Ende der Höhle war getrockneter Seetang zu Nestern geformt. Aus manchen schauten die ungläubigen, glasigen Augen von Wasserkindern. Die Mitte der Höhle war wie ein flacher Kegel, und helles Licht fiel dort durch ein Loch in der Höhlendecke. Unter dieser Öffnung lagen die unterschiedlichsten Fische auf einer Art Grill, und es gab Schalen mit buntem Obst, wie Marco es noch nie gesehen hatte. Marco war sehr hungrig. Er genoss die seltsamen Speisen, die die Wassermenschen ihm freundlich reichten. Bald fühlte er sich sehr viel wohler.

Kacheba fragte „Wer bist du, und woher kommst du?“ - „Marco heiße ich“, antwortete er, „ich komme aus Österreich, das ist weit weg von hier. Ich mache mit meinen Eltern Urlaub auf einer Insel.“ - „Urlaub - was ist das?“, wollte Kacheba wissen. „Meine Eltern arbeiten sehr viel. Daher machen sie einmal im Jahr eine Pause. Dann setzen wir uns in ein Auto oder Flugzeug, um uns woanders zu erholen“, erklärte Marco. Kacheba wunderte sich: „Flugzeuge - das müssen dann die großen, lauten Vögel sein, die es zu Zeiten unserer Großeltern noch nicht gab. Und da sitzen Menschen drin?“ - „Ja klar!“, sagte Marco, „Und so sind auch wir hierher geflogen. Ich möchte gerne zu meinen Eltern zurück. Sie machen sich bestimmt schon Sorgen.“ Marco spürte, wie ihm die Tränen in den Augen standen.

Kacheba meinte nachdenklich: „Dann sind deine Eltern wohl auf dem Land, das wir Guchikla nennen. Die meisten von uns glaubten, diese Insel sei eine Erfindung der Alten. Da hatte mein Großvater doch Recht, als er sagte, es müsse sie geben!“

Dieser Gedanke schien ihr zu gefallen. „Unser Volk lebt seit vielen Generationen in dieser Höhlenwelt. Seit Piraten uns überfielen, ausraubten und gefangen nahmen. Lange Zeit wagten wir uns nur abends zum Fischen auf das Meer.“

 

Marco fragte „Wie komme ich denn zu meinen Eltern zurück?“ Kacheba sprach kurz mit einigen der Wassermenschen. Einige zögerten, aber andere nickten fröhlich. „Wir werden dich nach Guchikla bringen. Mein Großvater erzählte, seine Eltern hätten ihm immer eingeschärft, dass es eine fruchtbare Insel gäbe. Man könne sie finden, indem man am frühen Morgen immer in Richtung der aufgehenden Sonne fährt.“ Marco war erleichtert: „Das wollt ihr wirklich für mich tun?“. Kacheba blickte versonnen in die Glut unter dem Grill. „Nun, eigentlich wollte ich immer schon einmal wissen, ob es Guchikla wirklich gibt. Lass’ uns jetzt ruhen, es ist bald Abend, und wir werden noch vor Sonnenaufgang aufbrechen.“