Die Piratenhöhle - Teil 2

Da vernahm er ein leises Geräusch in der Tiefe: „Plitsch, Platsch, Plitsch, - , Plitsch“, wie von Tropfen, die in einen Teich fallen.

Vorsichtig tastete er sich weiter vor. Der Boden wurde immer schlüpfriger, sodass er ein paar Male hinfiel. Weit hinten im Gang konnte er einen Lichtschimmer sehen.

Mit klopfendem Herzen folgte Markus dem Bogen, den die Röhre nun beschrieb. Sie mündete mit einer weiten Öffnung in eine riesige Höhle. Ein großer, unterirdischer Teich schimmerte in einem gelblichen Licht.

Und deutlich hörte er wieder das „Plitsch, Platsch“, und sah klare Wassertropfen von den Tropfsteinen an der Decke in den See fallen, wo sich weiche Kreise auf der Wasseroberfläche bildeten.

Markus kletterte auf den Felsen seitlich des Sees entlang, um zu erkunden, woher das Licht in die Höhle schien.

Das gelbe Leuchten ging von einer großen Truhe aus, die in einer Nische der Höhlenwand stand. Als Markus sich näherte, erkannte er, dass sie aus altem, mit reichen Schnitzereien verziertem Holz gefertigt war. Die aufwändigen Beschläge schienen zu glühen, daher kam das seltsame Leuchten.

Markus näherte sich neugierig der Truhe. Vorsichtig berührte er sie. Das Metall war ganz kühl, obwohl es glühend heiß aussah. Behutsam öffnete er die Truhe.

Kaum hatte er den schweren Deckel ein wenig angehoben, schoss durch den schmalen Spalt ein Strom von hellen Lichtpünktchen heraus und wirbelten Markus um den Kopf.

Vor Schreck ließ Markus den Deckel wieder fallen und bemerkte nicht einmal, dass die Beschläge der alten Truhe nun gar nicht mehr leuchteten.

Die Wolke aus Lichtpünktchen kreiste nun wie ein Schwarm von Glühwürmchen über der Truhe.

Markus schaute entsetzt hinauf und fragte sich: „Was ist das bloß?“ Darauf nahmen die Lichtpünktchen eine Form an. Markus konnte bald deutlich einen Mann erkennen, der einen seltsamen Hut trug und – eine Augenklappe.

„Ein Pirat!“, dachte er und machte in Gedanken an Pedros Erzählungen einen großen Schritt rückwärts. „Stimmt fast“, sagte der Pirat mit tiefer Stimme, „ich bin der Schiffsgeist vom Piratenschiff Miranda.“ – „Ich, aber ich habe doch gar nichts gesagt“, stammelte Markus. „Woher weißt du ... ?“ – „... was du gesagt hast? Ich kann Gedanken lesen, das ist eine nützliche Fähigkeit, wenn man ein guter Geist sein möchte. Wie ich hierher komme, fragst du dich?“, antwortete der Geist, bevor Markus die Frage überhaupt aussprechen konnte.

„Nun, vor einigen hundert Jahren hat ein feindlicher mächtiger Pirat die Miranda gekapert. Ich kann nicht sagen, was aus dem Segelschiff und der Besatzung geworden ist. Meine Truhe wurde von einem der Piraten aus dem Schiff weggebracht und hier abgestellt als ich darin ruhte. Der Pirat musste fliehen und wollte die Truhe später wieder abholen, aber er ist nie wiedergekommen. Seitdem bin ich hier gefangen, und die ganze Zeit habe ich mir immer nur gewünscht, dass mich jemand befreit, und ich wieder als Schiffsgeist auf einem Piratenschiff reisen kann.“

Markus klärte den Geist auf: „Ich will dich nicht enttäuschen. Aber es gibt aber keine Piraten mehr wie früher und auch nur noch ganz wenige dieser großen Segelschiffe.“

Der Geist schüttelte traurig seinen schimmernden Kopf: „Sehe ich nie wieder Horden von johlenden Piraten, die sich mit zwischen die Zähne geklemmten Dolchen an Tauen auf große Handelsschiffe schwingen? Keine Gelage mehr, bei denen Rum bis zum Abwinken fließt? Kein Lachen auf sonnenverbrannten, bärtigen Gesichtern, wenn ich mit den Piraten Schabernack treibe?“

Markus hatte Mitleid mit dem Geist. Die vielen Lichtpunkte waren nun durcheinander geraten, sodass seine Piratengestalt kaum noch zu erkennen war.

„Geist, reiß’ dich zusammen! Jetzt bist du doch schon frei, da werden wir doch auch noch einen guten Job für dich finden!“ Der Geist nahm sofort wieder Form an und setzte sich neben Markus, der auf der Truhe Platz genommen hatte und grübelnd den Kopf auf die Hände gestützt hatte.

„Ich könnte auf der Mayflower anheuern“, meinte der Geist. – „Die fährt schon lange nicht mehr zur See“, warf Markus ein. „Aber ich habe eine Idee: Hast du nicht Lust, in einer Geisterbahn zu bleiben? Wo du doch ein Geist bist! Da triffst du auch jeden Tag neue Leute, mit denen du deine Scherze machen kannst“. – „Wenn du mir verrätst, was das ist“, meinte der Geist. „Am besten zeigst du sie mir in einen Erinnerungen“.

So schloss Markus die Augen und fuhr in Gedanken in seiner Lieblings-Geisterbahn mit und bemühte sich, nach Möglichkeit kein Gespenst, keine Spinne und kein Monster bei der Fahrt durch die dunklen Gänge auszulassen.

„Au fein!“, rief der Geist, „da gefällt es mir, da möchte ich gerne hin!“

 

„Aber erst müssen wir hier herausfinden“, bemerkte Markus, dem plötzlich wieder seine schwierige Lage bewusst wurde.