Marco wollte gerade fragen, was, als er einen heißen Luftzug spürte. Er sah zur Seite. Sein Herz blieb stehen, beinahe verlor er wieder das Gleichgewicht: Im hellen Mondlicht ragte der Kopf eines riesigen Tiers mit einem langen, gebogenem Hals aus dem Wasser! In einem großen, flachen Maul mit großen Nüstern blitzte eine lange Reihe von Zähnen, und außer den großen Augen erkannte Marco nun auch die runden Ohren des Meerbewohners.

Marco blieb regungslos sitzen, während diese ungeheuerliche Erscheinung ihn mit schräg gehaltenem Kopf mit seinem runden, dunklen Auge musterte. Marco bemerkte, dass Kacheba immer noch gluckste vor Lachen. Und er hatte den Eindruck, dass sogar dieses Tier zu grinsen schien!

„Ich dachte du kennst die Doreks! Das sind unsere Freunde, wir haben sie eben gerufen, um uns zu helfen. Dies hier ist Lahja“, sagte Kacheba, stand auf, und tätschelte dem riesigen Wesen das Kinn. Dieses schnaubte bei dieser Berührung fast zärtlich, und tauchte dann langsam unter.

Die Wassermenschen warfen ein dickes Seil ins Wasser. Lahja nahm es ins Maul und zog das Dreibaum-Boot ohne große Mühe durch das Wasser, während die Wassermenschen sich schlafen legten.

Marco war nun vollkommen durcheinander. Nun wollte er sehen, was Lahja für ein Tier war, aber er konnte nur hin und wieder den gebogenen Hals und einen dicken, langen Schwanz aus dem Wasser auftauchen sehen. Inzwischen aber war er so müde, dass ihm die Augen fast im Sitzen zufielen, und er in einen langen und tiefen Schlaf fiel.

Als er am nächsten Morgen erwachte, übernahmen die Wassermenschen gerade wieder die Ruder, während Lahja ihren Kopf an Kachebas Schulter schmiegte, die ihn am Hals kraulte. Bei Tageslicht sah Marco, dass Lahja eine bläuliche, schuppige Haut hatte. Aber auch jetzt konnte er von Lahja im Wasser lediglich undeutliche Umrisse eines massigen Körpers mit einem kräftigen Schwanz erkennen.

„Vielen Dank - und bis bald!“, sagte Kacheba zu Lahja, die noch einmal schnaubte und dann untertauchte und in einem gurgelnden Wassersog verschwand.

Nach ein paar Stunden kam Guchikla in Sicht. Nun wurde Marco unruhig, er freute sich wie ein Schlosskönig: „Seht ihr, da in die Bucht müssen wir fahren“, sagte er zu Kacheba, die ihn mit einem verständnisvollen Blick anlächelte. Marco hatte das Gefühl, dass ihr der Gedanke, ihn nun wieder in seiner Welt absetzen zu müssen, doch ein wenig schwer fiel.

Auch Marco hatte die Insel Takhiri und seine wundersamen Bewohner in sein Herz geschlossen. Gleichzeitig hatte er Sehnsucht nach seinen Eltern und auch nach seinen Freunden zu Hause. Marco wurde immer ungeduldiger, und Kacheba sah ihn lächelnd an, als er den Weg zu „seiner“ Bucht wies.

Seine Eltern müssen das Dreibaumboot schon von Weitem gesehen haben. Sie liefen aufgeregt am Strand entlang, und als sie Marco sahen, rannten sie ins Wasser, wo sie ihn aus dem Boot hoben und drückten, bis er fast keine Luft mehr bekam.

Seinem Vater liefen die Tränen über die Wangen. „Wir dachten schon, dir sei etwas Schlimmes passiert!“, meinte Marcos Mutter. „Wir haben dich überall gesucht! Papa und ich haben uns solche Vorwürfe gemacht, dass wir dich aus den Augen verloren haben.“ - „Jetzt bin ich doch wieder da. Ich habe nicht aufgepasst, das passiert mir sicher nie wieder.“, sagte Marco. „Ich bin so froh, dass ich wieder bei euch bin.“

Er deutete auf die Wassermenschen. „Das sind Kacheba und ihre Freunde. Ihnen verdanke ich, dass ich wieder hier bin.“ Marcos Eltern waren sehr gerührt und ebenso verwundert über das ungewöhnliche Äußere seiner Retter. Aber sie begrüßten sie herzlich und luden sie freundlich zu sich ein.

Sie feierten alle zusammen ein schönes Fest am Strand und erzählten bis spät in die Nacht. „Kacheba, würdet ihr nicht alle vor mir sitzen - ich würde Marco kein Wort glauben“, sagte Marcos Vater. Kacheba gluckste nur. Sie wandte sich Marco zu und meinte „Es wäre zu schön, wenn ich Großvater von dieser Reise erzählen könnte.“

Als er vor Müdigkeit nicht mehr konnte, krabbelte Marco in sein Bett. Kacheba und ihre Leute wollten lieber in ihren Booten schlafen, die sie unter die Palmen auf den Strand gezogen hatten.

Schon am frühen Morgen mahnte Kacheba „Es wird Zeit für uns, zurückzukehren. Unsere Kinder brauchen uns.“

Marco fragte „Wie kann ich das wieder gutmachen, was ihr für mich getan habt?“ - „Indem ihr niemandem etwas über Takhiri erzählt“, bat Kacheba. „Es muss ein Geheimnis bleiben, dass es Takhiri gibt. Nur so sind wir sicher.“

Marcos Mutter drückte sie und sagte bewegt: „Wir versprechen, dass wir niemandem jemals von euch und Takhiri erzählen! Aber wir werden immer an euch denken!“

Sie verabschiedeten sich so, wie Marco es bei den Wassermenschen gesehen hatte: Mit einem leichten Reiben der Hand auf der Schulter des anderen. Marco war traurig, dass er sich von seinen neu gewonnenen Freunden trennen musste. Auch Kacheba gluckste irgendwie verlegen.

Schließlich schoben die Wassermenschen das Boot ins Wasser, kletterten hinein, und legten ab. Als sie sich bereits weit von der Küste entfernt hatten, drehten sich Kacheba und ihre Leute noch einmal um und hoben ihre Schwimmhände zum Gruß. 

Es vergingen viele Jahre. Eines Tages, als Marco längst erwachsen war, kehrte er nochmals auf die kleine Insel, die die Wassermenschen Guchikla nannten, zurück. An dem ehemals verträumten, einsam gelegenen Sandstrand war inzwischen ein Meer von Hotelanlagen entstanden. Zwischen unzähligen Sonnenliegen und Schirmen boten fliegende Händler den Touristen lautstark Schmuck und Früchte an. Das Gelächter der vielen spielenden Kinder wurde übertönt vom Geräusch der Motorboote, die überall in der Nähe des Strandes über das Wasser rasten.

Oft schaute er auf das Meer hinaus und dachte an Kacheba und ihre Leute und an Lahja: „Nur gut, dass niemand von Takhiri weiß!“, sagte er sich. „So hat Kacheba’s Volk seine Ruhe.“

 

Und manchmal, wenn der Tag dem Ende zuging, und das Treiben am Strand ruhiger wurde, kam es Marco so vor, als könne er im Westen - weit draußen auf dem Meer - ein Flimmern sehen. Dann meinte er, das fröhliche Glucksen von Kacheba zu hören.