Die Piratenhöhle - Teil 1

Seit vier Wochen ging Markus schon zur Schule. An diesem sonnigen Morgen hatte er sich angezogen, gefrühstückt, die Zähne geputzt und war bereit das Haus zu verlassen.

Eigentlich brauchte er sich nicht mehr zu beeilen, aber er musste noch unbedingt die Cadomon-Aufkleber in sein Sammelalbum kleben, die Papa ihm gestern Abend mitgebracht hatte.

Seine Mutter rief schon „Markus, du musst dich jetzt beeilen!", aber er war immer noch nicht ganz fertig. Er klebte schnell die letzten beiden Aufkleber in das Album und steckte es in seine Schultasche, damit er es später seinen Freunden zeigen könnte.

Mama gab ihm erst sein Pausenbrot und dann einen dicken Kuss und sagte wie jeden Morgen „Jetzt geh' los, sonst kommst du zu spät. Aber bleib auf dem Weg, und pass auf dich auf!" Als ob es der erste Schultag wäre!

Aber weil er wusste, dass Mama sich dann freut, sagte er „Klar, mach ich! Bis nachher, tschüss!", und ging ein Stückchen die Strasse herunter. Von dort ging ein Weg an der Küste entlang zu dem Ort, in dem seine Schule war.

Die Wellen im Meer glitzerten in der Sonne. Er hielt Ausschau nach seinem Freund, dem Delphin, der hier oft verspielt im Wasser herumsprang. Von Fido, wie er ihn nannte, war aber nichts zu sehen.

Weil er spät dran war, beschloss Markus, eine Abkürzung zu nehmen. „Mama wird es ja nicht erfahren, Hauptsache ich komme rechtzeitig zum Sachkunde-Unterricht“, dachte er. Unbekümmert verließ er den Pfad und suchte seinen Weg über das von wilden duftenden Blumen bewachsene Felsplateau oberhalb der zum Meer abfallenden Felsen.

Er war noch nicht weit gekommen, als er spürte, wie der Boden unter seinen Füssen plötzlich nachgab und er abwärts fiel. Erschrocken suchte er in den Pflanzen Halt, aber die wenigen Wurzeln konnten sein Gewicht nicht halten, sodass er mit einem lauten Schrei nach unten stürzte.

Er fiel nicht tief, aber der Boden, auf dem er aufkam, war hart. Um ihn herum war es sehr dunkel und kühl. Er streckte vorsichtig seine Beine aus. Glücklicherweise hatte er sich nicht verletzt.

Er stand langsam auf. Wo bin ich bloß?, fragte er sich. Es dauerte eine Weile, bis sich seine Augen an das spärliche Licht gewöhnten. Über sich sah er das Loch, durch das er gestürzt war. Er hatte es unter den Pflanzen nicht bemerkt. Markus sah die Schatten von merkwürdigen Zapfen, die er schon einmal auf Fotos gesehen hatte. „Heißen die nun Steilakiten, Stalakiten, Stalagmiten oder wie?“, ging es ihm unwillkürlich durch den Kopf. Ihm wurde klar, dass er sich in einer Tropfsteinhöhle befand.

Er sah nach oben um einen Ausgang zu entdecken, aber das Loch in der Decke war viel zu hoch für Markus, um dort hinauszuklettern. „Na prima, da werde ich gleich aber Ärger kriegen, weil ich so spät komme“, sagte er sich. Er ließ seinen Blick weiter über die Wände und den Boden der Höhle schweifen. Die feuchten Wände konnte er nun auch undeutlich sehen. Dies war wohl nur ein Teil einer Höhle, denn es gab eine dunkle Öffnung am Ende dieses Raumes, genau an der Stelle, an der der Boden sich nach unten absenkte.

Markus tastete sich langsam in die Richtung dieser Öffnung. Was sich dahinter verbarg, konnte er nicht erkennen. Er hatte große Angst. Es wurde immer dunkler um ihn herum. Aber aus der ersten Höhle gab es außer dem Loch hoch oben in der Decke keinen Weg nach Draußen.

Also setzte er vorsichtig langsam einen Fuß vor den anderen und bewegte sich vorbei an unregelmäßigen Felsstücken auf dem Boden immer weiter von dem schwachen Licht weg.


Dass er zu spät zur Schule kam, machte ihm nun keine Sorgen mehr. Vielmehr fragte er sich, ob er überhaupt wieder hier herauskommen würde.

„Ob sie nach mir suchen?“, fragte er sich. „Selbst wenn“, setzte er seinen Gedanken fort, „das Loch auf dem Feldplateau wird sicher niemand finden, vor allem da keiner weiß, dass ich die Abkürzung genommen habe.

Markus fielen nun die abenteuerlichen Geschichten ein, die der alte bucklige Fischer Pedro bei jeder Gelegenheit über Piraten erzählte. Der Gedanke war ihm unheimlich, und er sagte sich, dass es ja gar keine Piraten mehr gab.

Je weiter Markus in die tiefe Höhle vordrang, desto schmaler erschien sie ihm. Der Boden wurde eben und glatt, bald konnte er zu beiden Seiten die feuchten Wände spüren, wenn er seine Arme ausstreckte. Der Gang wand sich immer weiter nach unten, vielleicht war er vor langer Zeit von Wasser aus dem Fels gespült worden.

Das Licht von der ersten Höhle konnte Markus nun überhaupt nicht mehr erkennen. Schützend hielt er sich einen Arm über den Kopf, um nirgends anzustoßen.