Bu-Hu

Mario und Julien hockten sich auf den Boden und schauten, was sich die Leute alles Nettes für sie ausgedacht hatten. „Toll, sogar meine Lieblings – Schokoriegel“, freute sich Mario. „Die Leute haben sich echt viel Mühe gegeben!“, meinte Julien.

Plötzlich hörten sie ein Geräusch. „Was war das?“, fragte Julien ängstlich. „Ach das war sicher nichts“, meinte Mario, klang aber nicht sehr überzeugt. Er sah sich vorsichtig um, konnte aber nichts entdecken.

Mit einem unguten Gefühl beugten sich beide wieder über die Süßigkeiten. Sie wussten sehr wohl, dass sie diesen Raum nicht betreten durften. Mario war so nervös, dass ihm ein Döschen Schokobons aufging und die braunen Kugeln über den Boden rollten.

„Hör auf, das ist nicht zum Lachen!“, fuhr er Julien an. „Aber wieso, ich habe doch gar nichts gesagt“, meinte dieser. Sie sahen sich um. An der Tür stand ein fremder Junge, der ihnen kichernd zusah. Er war als Gespenst verkleidet, und wenn man es nicht besser wüsste, hätte man meinen können, es könnte sich um ein echtes Gespenst handeln, so blass und zerbrechlich wirkte er.

„Mensch, hast du uns jetzt aber einen Schrecken eingejagt!“, meinte Mario erleichtert.

„Du hast aber ein starkes Gespensterkostüm an!“, stellte Julien fest, als sich das Kind zu ihnen gesellte.

„Ich nehme mir jetzt ein Schokobonbon!“, sagte Mario, und steckte sich gleich drei davon in den Mund. „Uillst du auch uas?“, nuschelte er mit vollem Mund. Ohne eine Antwort abzuwarten, warf er dem fremden Kind ein Bonbon zu.

Dieses griff mit beiden Händen danach, aber das Bonbon fiel wie durch Nebel durch dessen Hände auf den Boden.

Obwohl Mario den Mund mit Bonbons vollgestopft hatte, stand er mit vor Staunen offenem Mund da. Julien rückte vorsichtig ein Stück zurück. „Das ist gar keine Ver-klei-dung“, stammelte er fassungslos. Er rieb sich die Augen, aber vor ihm stand tatsächlich ein echtes Gespenst!

Das Kind sah nun ganz traurig aus: „Nun wisst ihr es also. Und ich habe gedacht, zu Halloween habe ich als Gespenst einmal die Chance, andere Kinder als Freunde zu finden. Aber alle laufen immer nur vor mir weg, buhuu! Und die Erwachsenen können mich nicht sehen. Sie machen außerdem immer wieder all meine Zeichen weg. Jeden Tag muss ich alles neu machen, die Blutflecken, die Bilder richtig hängen, alles!“

 

Julien kam neugierig wieder ein Stückchen näher. Mario klappte endlich seinen Mund zu und schluckte die Schokobons.

„Wo kommst du überhaupt her?“, wollte er wissen. „Oh, ich wohne schon ewig im Turm des Schlösschens. Das war als es noch keine Brücke hierher gab.

Ich wollte heimlich zur Insel schwimmen, na ja, aber das hat nicht geklappt und ich bin ertrunken. Immer habe ich gehofft, dass ich meine Eltern eines Tages wieder sehen würde.

Daraus ist leider nie etwas geworden, und seit der Zeit bin ich das  einzige Gespenst das hier spukt. Früher gab es hier jede Menge Feiern mit vielen Menschen, die ich ärgern konnte!“ - „Aber das muss doch mehr als hundert Jahre her sein!“, wunderte sich Julien. „Klar, da war das hier noch eine richtige Insel. Die Leute mussten mit einem Boot herrudern.“

In Gedanken versunken schwebte das Gespenst unter der Decke.

„Wie heißt du überhaupt?“, fragte Mario. Das Gespenst kam wieder auf den Boden zurück und brach in Tränen aus: „Bu-Huuuu“, weinte es, „ich habe meinen Namen längst vergessen. Es hat so lange niemand mit mir gesprochen. Erwachsene Menschen können mich nicht sehen, und Kinder müssen immer schon ins Bett, wenn Gespensterstunde ist! Bu-Huuuu!“

„Dann suchen wir dir einen Namen!“, meinte Julien. „Wie wäre es mit Theobaldus?“ - „Nein, das passt nicht“, Mario schüttelte den Kopf. „Bu-Huuuu!“ Bei dem Gespenst flossen immer noch die Tränen, „Wozu einen Namen aussuchen? Es gibt doch sowieso keinen der mit mir spricht!“ - „Und was ist mit uns?“, fragte Mario fast beleidigt. „Ihr dürft doch meistens abends nicht so lange aufbleiben!“, jammerte das Gespenst. - „Doch, freitags nach dem Sport“, meinte Mario, „Ich werde meinen Eltern sagen, dass wir uns danach hier treffen können!“ -  „Au ja, da kommen meine Eltern und ich bestimmt auch mit!“, freute sich Julien.

„Bu-huuu! Das sagt ihr nur, um mich zu trösten!“, heulte das Gespenst. „Ich hab’s!“, rief Mario, wir nennen dich „Bu-Hu!, was meinst du Julien?“ Julien grinste. „Das passt gut! Ist auch viel leichter als Theobaldus!“ - „Meint ihr wirklich?“, fragte Bu-Hu.

 

„Aber klar!“, sagten die beiden wie aus einem Munde. „Und jetzt treffen wir uns erst einmal mit den anderen Kindern. Die sollten dich doch auch kennen lernen!“

 

Bu-Hu strahlte. Er schwebte fröhlich hin- und her und rief „Fein! Wenn ihr möchtet, können wir uns alle hinter dem Haus an der Bank treffen!“